Schon wieder insolvent?

Schon wieder insolvent?

Eine Insolvenz ist ein einschneidendes Ereignis für Unternehmen. Doch manche Betriebe kommen aus der Schieflage gar nicht wieder heraus. Woran liegt das?

Nichts währt ewig. Was wie eine Binsenweisheit klingt, trifft auf Unternehmen und Marken jedoch fast immer zu. Ein Produkt kann über Jahrzehnte stabile Gewinne einbringen, doch irgendwann dreht die Windrichtung am Markt und wer hier nicht frühzeitig gegensteuert, kann ins Straucheln geraten. Ähnlich ging es auch dem 1949 gegründeten Freizeit- und Sportgerätehersteller Kettler. Jahrzehntelang war das vom Unternehmen entwickelte Kettcar das Synonym für das Spielzeug-Tretauto schlechthin – kaum eine Kindheit, die ohne das Vehikel verlief. Doch nach der Jahrtausendwende ging es für das Unternehmen langsam bergab: Im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 mussten Hunderte Mitarbeiter entlassen werden. 2015 kam es schließlich zur Insolvenz. Es folgten Stellenabbau und der Verkauf der Fahrradsektion. Die Versuche, sich gesund zu schrumpfen, griffen nicht richtig – 2018 folgte die zweite Insolvenz. Ein Investor stieg ein und sorgte kurzfristig für Entspannung. Aber schon im Sommer 2019 musste Kettler seine dritte Insolvenz innerhalb von vier Jahren beantragen. Man habe den Wandel vom Traditionshersteller zur Trendmarke noch nicht geschafft, nicht gründlich genug aufgeräumt, so der Tenor aus dem Unternehmen.

Der Fall zeigt: Wenn sich die Präferenzen der Käufer ändern, müssen auch etablierte Marken anpassungsfähig sein. Digitalisierung, Personalisierung und Optimierung, all diese Trends haben längst die Freizeit- und Fitnessindustrie erobert. Hier müssen Traditionsunternehmen einen Ansatz finden, um den Anschluss nicht zu verlieren. Auch sie profitieren nicht auf alle Zeit ausschließlich von einem Kult-Status – irgendwann sind neue Ideen, Strukturen und Produkte gefragt.

Andere Branche, ähnliches Beispiel

Nicht nur der Markt für Freizeitgeräte hat sich gewandelt, auch die Modebranche befindet sich in einem Transformationsprozess. Es gibt eine starke Polarisierung: mit teuren Premium- und Luxusmarken auf der einen und globalen Billigketten auf der anderen Seite. Außerdem ist der Markt stark übersättigt. Da wird es für heimische Unternehmen wie beispielsweise Strenesse immer schwieriger, die passende Nische zu besetzen. Bereits 2014 geriet das einst gefeierte bayerische Modelabel in die Insolvenz. Man hatte zu viele Kollektionen, zu viele Geschäfte und zu viel Personal. Im Rahmen der Sanierung verordnete sich das Unternehmen damals einen straffen Strategiewechsel mitsamt Kostensenkung, Stellenabbau und Investorenprozess. Dennoch reichte die Finanzdecke für die Neuausrichtung nicht, die Anpassung an den veränderten Markt gelang nicht ausreichend. Das Label rutschte Sommer 2019 erneut in die Insolvenz. Und Strenesse ist kein Einzelfall. Auch das Modeunternehmen René Lezard musste kurze Zeit später zum zweiten Mal Insolvenz anmelden: Ein Investor sollte hier für eine dringend benötigte Kapitalerhöhung sorgen, ließ jedoch die vereinbarte Zahlungsfrist verstreichen.

Weshalb kommt es zu wiederholten Insolvenzen?

Diese öffentlichkeitswirksamen Beispiele sind nur die Speerspitze: Immer wieder sind Unternehmen von Mehrfachinsolvenzen betroffen. Das hat zum Teil auch immer noch mit der mangelnden Fehlerkultur in Deutschland zu tun. Man will eine Krise schnell und möglichst unauffällig hinter sich bringen. Ist das Verfahren aufgehoben, folgt das große Aufatmen – und nicht selten der Rückfall in alte Gewohnheiten. Genau hier liegt die Crux, weiß Frank-Rüdiger Scheffler von der Tiefenbacher Insolvenzverwaltung: „Solange sich Betriebe im Insolvenzverfahren befinden, Verwalter, Gläubiger und Berater Druck aufbauen, Lösungen entwickeln und einen Sanierungsplan erarbeiten, ist das Management oft motiviert und engagiert. Doch nach der offiziellen Aufhebung des Verfahrens ist die Luft häufig raus. Problematisch: Denn nun beginnt die eigentliche Fleißarbeit für den Unternehmer und sein Team.“ Der Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter hat immer wieder Fälle erlebt, bei denen der Sanierungsprozess nach einem aussichtsreichen Start bald ins Stocken geriet. „Die für den Sanierungsplan entwickelten Maßnahmen müssen konsequent und langfristig umgesetzt werden. Manche Unternehmer verfallen jedoch schnell in alte Muster oder gehen die Restrukturierung nur oberflächlich an“, kritisiert Scheffler. So reiche es eben nicht, zwar für neue Liquidität zu sorgen, es aber ansonsten bei ein paar „Schönheitskorrekturen“ zu belassen. Gerade Unternehmen, die sich in einem wandelnden Markt befänden, müssten sehr viel tiefer gehen, im Prinzip ihre gesamte Geschäftsbasis umgraben. „Dinge, die wirklich schmerzen, kommen oft gar nicht aufs Tableau: betriebs- und leistungswirtschaftliche Korrekturen, Neuausrichtung des Geschäftsmodells, Anpassung der Kalkulation, Reformierung der Aufbau- und Ablauforganisation, Ansprache neuer Zielgruppen, Knüpfen neuer Lieferantenbeziehungen“, sagt Scheffler. Aber gerade in diesen tieferen Strukturen fänden sich meist die Ursachen einer Dauerkrise.

Unrealistische Ziele, mangelndes Controlling

Manchmal sind nicht die mangelnde Konsequenz und Ausdauer bei der Umsetzung das Problem, sondern die gesteckten Ziele selbst. „Es kann auch passieren, dass Unternehmer mit aller Kraft wieder auf die Beine kommen möchten und sich dabei verheben. Da werden die Erwartungen an künftige Umsätze und freiwerdende Liquidität durch Kurswechsel und Kostensenkungen schlicht zu hoch eingeschätzt. Das Unternehmen kann die Vorgaben später nicht erfüllen, die Planumsetzung scheitert, eine erneute Insolvenz bahnt sich an“, resümiert Scheffler. Ein weiteres Problem: mangelndes Controlling der Sanierungsmaßnahmen. Märkte sind, wie die eingangs illustrierten Beispiele zeigen sollten, eine hoch dynamische Angelegenheit. Da kann ein Sanierungsplan noch so gut ausgearbeitet sein: Ändern sich die Rahmenbedingungen, hilft stures Abarbeiten nicht weiter. Dann muss beobachtet, geprüft und nachjustiert werden. Externe Sanierungspartner auch über die Zeit des offiziellen Verfahrens hinaus bei Strategieentwicklung und Umsetzung der Maßnahmen einzusetzen, kann manchmal helfen – der dauerhafte Wille zur Veränderung muss jedoch aus den Unternehmen selbst kommen.

Sieben Tipps gegen Dauerkrisen

  • Geplante Sanierungsmaßnahmen konsequent und nachhaltig umsetzen
  • Ausreichend Liquidität für den Neustart beschaffen (gegebenenfalls alternative, bonitätsunabhängige Finanzierer einbinden)
  • Notwendige strukturelle Anpassungen vornehmen, beispielsweise: Produkt- und Leistungsgestaltung, Betriebsaufbau und -organisation, Vertragswesen, technische Ausstattung, personelle Aufstellung, Finanzplanung, Vertrieb, Marketing und Kommunikation
  • Ist-Zustand anhand verlässlicher Daten ermitteln, erreichbare Ziele formulieren
  • Enge und langfristige Einbindung sanierungserfahrener Partner
  • Markt und Wettbewerbsumfeld im Blick behalten und dranbleiben
  • Strenges Controlling, erarbeitete Maßnahmen gegebenenfalls weiter optimieren
frank-ruediger-scheffler

beitrag von Frank-Rüdiger Scheffler

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