Distressed M&A Verfahren: Erfolgsfaktoren und Hindernisse
Experten sprechen bei dieser besonderen Form der Übernahme von den sogenannten Distressed M&A Verfahren, kurz für Mergers & Acquisitions: Neben Verkäufen aus der Insolvenz zählen dazu auch Transaktionen in Sondersituationen wie generelle Restrukturierungsprozess oder die Veräußerung von Unternehmenssparten in der Krise. Das Finance Magazin geht laut einer dem Verlag vorliegenden Deloitte-Studie von einer steigenden Anzahl der Distressed-Transaktionen in den kommenden Monaten aus. Befragt wurden dafür mehr als 2.000 Berater, Finanzierer, CROs, Insolvenzverwalter und Investoren zu ihrer Einschätzung zu Trends und Entwicklungen am deutschen Distressed-Markt. Einen Anstieg der Distressed-Deals am deutschen Markt erwarten demnach rund 83 Prozent der Studienteilnehmer, 18 Prozent gehen sogar von „deutlich mehr Transaktionen“ aus. Man gehe zudem nicht davon aus, dass es sich bei den zunehmenden Deal-Aktivitäten um ein kurzfristiges Szenario handelt: 35 Prozent der Befragten glauben, dass der Anstieg über einen Zeitraum von zwölf Monaten anhält, weitere 30 Prozent rechnen mit einem sogar noch längeren Auftrieb.
Der Grund: Im Gegensatz zum oft kapitalintensiven Erwerb eines „gesunden Unternehmens“ kann der Kauf aus der Krise oder gar der Insolvenz eine interessante Alternative sein. Das nutzen derzeit wieder verstärkt die Private-Equity-Häuser am Distressed-Markt. Laut Deloitte-Studie liegen deren Aktivitäten zufolge auf einem historischen Höchststand: Waren in Vorjahren nur an etwa einem Drittel aller Distressed-M&A-Transaktionen Finanzinvestoren beteiligt, stieg dieser Anteil zum Jahresende 2020 auf 42 Prozent. Gerade Mittelständler, die hier vor der Corona-Pandemie verstärkt auf strategische Zukäufe setzten, scheinen in Zeiten der Pandemie stärker mit anderen Themen befasst. Private-Equity-Investoren verfügen hingegen laut Studie wohl derzeit über eine größere Liquidität und legen einen Fokus auf diesen Bereich.
Share Deal versus Asset Deal
Je nach Ausgangslage kommt bei der Transaktion von Krisenunternehmen der Share Deal oder der Asset Deal – die sogenannte übertragende Sanierung – zum Einsatz. Beim Share Deal erwirbt der Käufer die Gesellschaft durch den Kauf aller oder fast aller Anteile einer Personen- oder Kapitalgesellschaft. Beim Asset Deal wird das Vermögen der Gesellschaft in Form der einzelnen Wirtschaftsgüter übertragen, von denen sich der Käufer die „passenden“ aussucht. Dazu gehören: Grundstücke, Gebäude, Maschinen, Einrichtungen oder Vorräte. Der Käufer sucht sich dabei die Assets aus, die er übernehmen will.
Frühzeitig mögliche „Dealbreaker“ identifizieren
Übernahmeprozesse von krisenbehafteten Unternehmen weisen eine Reihe von Besonderheiten und Herausforderungen auf, die den Erfolg maßgeblich beeinträchtigen, unterstützen oder auch verhindern. Im Beratungsverbund ABG-Partner haben wir in den vergangenen Jahren eine Reihe von Transaktionen begleitet – viele waren erfolgreich, einige sind gescheitert. Wichtig ist die frühzeitige Identifikation von potenziellen Dealbreakern, also gefährdenden oder hinderlichen Faktoren. Dazu gehören zum Beispiel unterschiedliche Interessenlagen der Beteiligten – vor allem bei Verkäufen in der Insolvenz – oder die Kaufpreiserwartungen beider Seiten. Potentielle Erwerber fordern hier aufgrund der wirtschaftlichen Situation und schwierigen Planbarkeit des Erfolgs oft hohe Risikoabschläge. Auch „Schnäppchenjäger“ versuchen gerne, die Notlage des Unternehmens und den damit verbundenen Verkaufsdruck auszunutzen. Kaufpreisangebot und geforderter Preis liegen deshalb häufig weit auseinander.
Unvollständiges Zahlenmaterial und wechselnde Rahmenbedingungen erschweren Prozess
Wichtige Ziele in den Verhandlungen sind: Vertrauen in das Unternehmen steigern und die Kaufpreishöhe im Sinne aller beeinflussen. Dies gelingt meist mit einer detaillierten Darstellung der Krisenursachen und des -verlaufs, mit umfassendem Zahlenmaterial zur Historie, mit Daten zum aktuellen Geschäftsverlauf und einer glaubhaften Planung sowie im Idealfall mit einem Sanierungskonzept oder einem Maßnahmenkatalog zur benötigten Restrukturierung. Wie bei jedem Geschäft müssen dem Käufer glaubhaft die zu erwartenden Potentiale aufgezeigt werden, wie beispielsweise positive Effekte für sein Geschäft, strategischer Nutzen und Synergien. Einfach ist das in der Praxis nicht, da Unterlagen und Zahlenmaterial oft nur unvollständig vorhanden sind. Der hohe Zeitdruck sowie die wirtschaftliche Lage lassen zudem selten eine schnelle und vollständige Aufarbeitung zu. Mit zunehmender Dauer der Krisen- oder Insolvenzphase muss man zudem von sich ändernden Parametern ausgehen, die den Transaktionsprozess zusätzlich erschweren oder den Abschluss sogar verhindern können: Das Abwandern von Schlüsselpersonal, der Verlust von wichtigen Kunden oder Hauptlieferanten sowie die Kürzung von Kreditlinien gehören dazu. Auch die Finanzierung eines Unternehmenskaufes in wirtschaftlicher Schieflage oder aus der Insolvenz heraus ist eine Hürde – denn zusätzlich zum Kaufpreis sind meist zusätzliche Gelder für die Betriebsfortführung und Durchführung von Restrukturierungsmaßnahmen nötig. Ein Lösungsansatz können hier bankenunabhängige alternative Finanzierungen sein, zum Beispiel Factoring oder Sale & Lease Back.
Breite Ansprache potentieller Investoren
Zu den Erfolgsfaktoren eines M&A Prozesses gehören das Erkennen und Gegensteuern möglicher Dealbreaker, das Wissen und die Erfahrung zu grundsätzlichen Anforderungen eines M&A Verfahrens, Verhandlungsgeschick, Kenntnisse zu Sanierung und gegebenenfalls insolvenzspezifischen Besonderheiten. Ebenfalls unerlässlich ist ein gezieltes und strukturiertes Vorgehen. Schon zu Beginn sollte man zudem auf eine möglichst breite und übergreifende Ansprache potentieller Investoren setzen, am besten mit einem Mix aus strategischen Kontakten und Finanzinvestoren. Die Erfahrung aus der Praxis zeigt, dass sich eine anfangs ausreichende Anzahl von Interessenten sehr schnell reduzieren kann. Und während beim Verkauf „gesunder Unternehmen“ die Due Diligence Phase mehrere Monate dauern kann, sind die zeitlichen Ressourcen in Krisensituationen begrenzt: Hier stehen für den gesamten Transaktionsprozess oft nur ein paar Wochen zur Verfügung. Daher muss dieser von einer hohen Transparenz, einem gesunden Pragmatismus aller Beteiligten sowie einer hohen Geschwindigkeit gekennzeichnet sein.
Die häufigsten „Dealbreaker“ auf einen Blick:
– Enger Zeitrahmen des Prozesses und Komplexität
– Unterschiedliche Interessenlagen der Beteiligten
– Keine Einigung bei der Kaufpreishöhe
– Schlechte Datenlage im Unternehmen in Zusammenhang mit dem hohen Zeitdruck
– Finanzierung scheitert
– wichtige Rahmenparameter ändern sich (Lieferanten oder wichtige Kunden springen ab, Schlüsselpersonal wandert ab etc.)
Wesentliche Erfolgsfaktoren im Überblick:
– Strukturierter Prozess mit hoher Transparenz für alle Beteiligten
– nachhaltiges Geschäftsmodell und „gesunder operativer Kern“
– breite, übergreifende Ansprache potentieller Investoren
– Offene Darstellung der Krisenursachen, vollständige Datenlage und Sanierungskonzept mit plausibler Unternehmensplanung
– Erfahrenes Team oder erfahrene Berater als zentrale neutrale Moderatoren (Erfahrung nicht nur in M&A Fragen, sondern auch in Sanierungen)
– Schnelligkeit, Flexibilität und gemeinsames Ziel der Beteiligten, Pragmatismus
beitrag von Simon Leopold
Geschäftsführer ABG Consulting-Partner GmbH & Co. KG
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